Das weingetränkte Notizbuch. Stories und Essays 1944-1990 by Charles Bukowski

Das weingetränkte Notizbuch. Stories und Essays 1944-1990 by Charles Bukowski

Autor:Charles Bukowski [Bukowski, Charles]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104022963
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-05-20T16:00:00+00:00


Über die Mathematik des Atems und des Wegs

Ich wollte mit einer kleinen Tirade gegen die Frau loslegen, aber da sich der Rauch an der heimischen Front etwas verzogen hat, lass ich das mal, auch wenn fünfzigtausend Männer in diesem Land auf dem Bauch schlafen müssen, weil sie Angst haben, von wirr aus glasigen Augen blickenden Frauen mit Messern um ihr bestes Stück gebracht zu werden. Brüder und Schwestern, ich bin 52 und habe so viele Frauen hinter mir, dass es für fünf Männerleben reicht. Einige der Damen haben behauptet, ich hätte sie mit Alkohol betrogen; den Mann möchte ich sehen, der sein Ding in einen Dreiviertelliter Whiskey steckt. Die Zunge kann man zwar reintun, aber die Flasche reagiert ja nicht. Und damit genug gelacht, kommen wir auf das Wort zurück.

Das Wort. Ich bin auf dem Weg zur Rennbahn, erster Tag in Hollywood Park, aber ich erzähle euch was vom Wort. Das Wort richtig aufs Papier zu kriegen erfordert Mut; man muss die Form sehen, das Leben leben, es in die Zeile bringen. Hemingway bezieht jetzt Kritikerprügel von Leuten, die nicht schreiben können. Es gibt Hunderttausende Leute, die meinen, sie können schreiben. Das sind die Kritiker, die Nörgler und die Spötter. Sie zeigen auf einen, der gut schreibt, und nennen ihn ein Stück Scheiße, um sich darüber hinwegzutrösten, dass sie selber nichts zustande bringen, und je besser einer ist, desto mehr wird er beneidet und schließlich gehasst. Man muss sich bloß mal anhören, wie sie über Pincay und Shoemaker herziehen und sich das Maul zerreißen, zwei der besten Jockeys, die je ein Pferd geführt haben. Vor der hiesigen Rennbahn steht ein kleiner Zeitungsverkäufer, der schreit: »Hier das Neueste! Das Neueste über Shoemaker den Schummler.« Die Rede ist von einem Mann, der mehr Siege geholt hat als jeder andere lebende Rennreiter (und immer noch gut reitet), und dieser Zeitungsjunge mit seinen Groschenblättchen nennt den Schuh einen Betrüger. Der Schuh ist Millionär, nicht dass das wichtig wäre, aber er hat es mit seinem Talent dazu gebracht, und er könnte dem Jungen sämtliche Zeitungen auf einmal abkaufen, solange der Junge lebt und noch ein halbes Dutzend Ewigkeiten länger. Auch Hemingway wird von Zeitungsjungen und schreibenden Mädels verhöhnt. Sein Abgang hat ihnen nicht gefallen. Ich fand seinen Abgang ganz gut. Er hat sich selbst den Gnadenschuss gegeben. Und er war ein begnadeter Schreiber. Einige seiner Sachen waren zu stilbetont, aber es war ein Stil, mit dem er groß rauskam, ein Stil, der Tausende andere Schriftsteller, die sich etwas davon aneignen wollten, kaputtgemacht hat. Wenn ein Stil ausgereift ist, stellt man ihn sich einfach vor, aber Stil beruht nicht allein auf einer Technik, er beruht auf Gefühlen, so wie man auf ganz bestimmte Art den Pinsel über die Leinwand führt, und wenn man sich nicht auf die Kraft und den Fluss des Lebens einstimmt, verschwindet der Stil. Hemingways Stil weichte gegen Ende seines Lebens immer mehr auf, aber nur, weil er nicht aufpasste und sich von anderen zu viel gefallen ließ. Gegeben hat er uns mehr als genug.



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